Reise nach Laredo by Arno Geiger

Reise nach Laredo by Arno Geiger

Autor:Arno Geiger [Geiger, Arno]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
Herausgeber: Carl Hanser Verlag
veröffentlicht: 2024-08-23T22:00:00+00:00


Zunächst glaubte er, er sei wieder in Yuste, weit weg vom Gewühl der Menschen. In den Pappeln neben der Klosterkirche rieselte der Abend. Vereinzelt Grillengezirpe und das gedehnte, trübsinnige Qua-qua der Frösche. Dann die Stimme seines Beichtvaters — Karl meinte die Stimme wirklich zu hören. Nun berührte jemand seine Stirn. Fray Regla sprach, als wisse er zuverlässig das eine und andere von dort drüben. Dieses Wissen schien Karl gewagt, denn das, was der Beichtvater als Kenntnis ausgab, war Vermutung, es vermochte Karl nicht zu beruhigen. Seine Angst pochte unvermindert weiter.

»Warum gibt Gott mir kein Zeichen?«, fragte er. »Warum dieses Schweigen?«

»Wenn Gott sprechen würde, müsste er diskutieren«, erwiderte Fray Regla sanft, »deshalb spricht er nicht. In Gott ist alles klar.« Er räusperte sich: »Haben Sie Vertrauen, Señor, Gott ist mit den Standhaften.«

Für einen Augenblick war Karl überzeugt, er habe gehört: Gott ist mit den Schandhaften. Nein, das konnte nicht stimmen, mit den Schandhaften, nein, mit den Schadhaften vielleicht, ja, fürwahr, mit den Schadhaften, er wusste es wohl. Jetzt berührte jemand seine Hände, dann die Füße. Was das wohl war? Er drehte sich auf die Seite.

Später hörte er Beten in der anliegenden Kirche und dann, allmählich schwächer werdend, den Choralgesang der Mönche. Er wunderte sich, wie er so plötzlich zurück nach Yuste gelangt war. Ob hier alles mit rechten Dingen zuging? Wohl kaum. Er schloss nicht aus, dass er träumte. Und in dem Moment, in dem er diese Möglichkeit in Erwägung zog, begriff er, dass er tatsächlich geträumt hatte, es waren nicht Mönche, die er hörte, sondern Geronimo, der vor der Tür der Kammer sein kindliches Gebet verrichtete. Lob, Preis und Ehre, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Erleichtert atmete Karl auf.

Langsam wurde es kühl hier heroben. Draußen fiel teilnahmslos der Regen, es war nun schon richtig Herbst geworden. In der Früh hatte Raureif mit seinem Weiß die Dächer jener Häuser bezeichnet, die leer standen oder deren Bewohner kein Geld besaßen für Brennholz. Im Gebirge würde der Winter nicht lange auf sich warten lassen. Umso besser, dass die Weiterfahrt beschlossene Sache war. Die Tiere stampften im Stall.

Wie lange es wohl zurücklag, dass Karl in Yuste in seinem Spezialstuhl am Teich gesessen und sich darüber gewundert hatte, wie seltsam gekrümmt die Bäume herumstanden? Mehrere Wochen gewiss. Weniger krumm waren die Bäume seither bestimmt nicht. Hier in der Toten Stadt? Hier war das Stroh in Karls Bettsack vom Schweiß klumpig geworden, daran konnte man die Dauer des Aufenthalts halbwegs ermessen. Beim Aufstehen spürte Karl wie noch selten seinen von Krankheit und Betrug verbrauchten Körper. Oft schaffte er es nicht ohne Geronimos Hilfe auf die Beine. Eigentlich schade, dass er zurückgetreten war. Dieser Körper hätte das Königtum besser repräsentiert, als ein schöner Körper es je könnte. Karl dachte: Ein König sollte immer hässlich sein, damit die Schönheit nicht ablenkt vom Eigentlichen.

Auf geschwollenen, wunden Beinen schleppte er sich im Zimmer umher, sich zwischendurch abstützend nach Art der alten Leute. Unter großen Mühen suchte er seine Sachen zusammen, viel war es nicht. Während er sich für alles die nötige Zeit nahm, hörte der Regen auf, und wenig später zeigte sich die Sonne.



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